aureolen
der schatten ist kein effekt des lichts, er ist auch kein beunruhigendes double, er
ist – wie im theater – eine regelrechte innere stütze für jede szene. schefer in
"l’homme ordinaire du cinéma
"
sie kam, umgeben von ihrer großen aureole, ihrem
weltweiten ruhm. und wie durch zauberkraft war das theater plötzlich von
bewegung und leben erfüllt. … es erschien mir, als wären mit ihrer ankunft all
die alten, gespenstischen schatten der in der tradition gefangenen kunst ins
nichts zerstoben. es war wie eine befreiung. sie war da, sie spielte, sie
triumphierte, ergriff besitz von uns allen und verschwand … aber wie ein
großes schiff hinterließ sie eine woge … und für lange zeit blieb in dem alten
theater die atmosphäre zurück, die sie mit sich gebracht hatte.
eine frau hatte
das alles erreicht!
(die duse über bernhardt in "le gallienne" , 1876)
charcot und die anderen mediziner der
salpêtrière bedienten sich eines religiösen vokabulars und einer religiösen
ikonographie für ihren zweck. louise lateau wurde als hysterikerin
diagnostiziert, aber geneviève und die anderen hysterikerinnen wurden als
ekstatikerinnen und besessene bezeichnet, und in genevièves fall sogar als
"succubus". das wort "stigmata", mit dem die ärzte des 19.
jahrhunderts die zeichen oder lokalisierten flecken der unempfindlichkeit am
körper bezeichneten, die die patientin sogleich als hysterisch auswiesen, wurde
aus der christlichen terminologie übernommen. das verfahren, mit dem echte
hysterikerinnen durch das auffinden von stigmata identifiziert wurden, ähnelt in
schockierender weise einem ritual, das im sechzehnten und siebzehnten
jahrhundert zur identifizierung von hexen eingesetzt wurde. in beiden fällen
wurde die verdächtige mit nadeln gestochen. wenn der nadelnde arzt an eine
schmerzunempfindliche stelle gelangte, hatte er die stigmata entdeckt
–
ein
eindeutiger beweis dafür, dass es sich um eine hexe oder hysterikerin handelte.
wie auf dem bild von blanche und anderen fotografien zu sehen ist, die die
version dieser rituale aus dem 19. jahrhundert belegen, konnte der arzt, sobald
er ein stigma gefunden hatte, eine große nadel direkt durch die stelle
–
zum beispiel
am arm oder am oberschenkel
–
stechen, ohne dass die patientin etwas spürte:
"wir können sie so tief wie möglich durchstechen, ihren oberschenkel oder
arm von einer seite zur anderen durchqueren, ohne irgendeine gefühlsäußerung
ihrerseits hervorzurufen." im fall von louise lateau stachen und piksten
ärzte und priester das arme mädchen. wie bei blanche und augustine durchbohrten sie ihr fleisch über und über, und wie die hysterikerinnen zeigte sie
nicht die geringste reaktion. hustvedt in
"medical muses"
ihre augen sind weit aufgerissen, und ihre pupillen laufen
manchmal in einem beängstigenden schielen zusammen oder sind vollständig unter
ihren augenlidern verborgen. ihre augenbrauen ziehen sich zusammen, ihr mund
klafft auf, und ihre zunge ragt heraus. ihre in entgegengesetzte richtungen
gezogenen gesichtszüge machen ihr gesicht asymmetrisch. es ist das bild einer
vom teufel besessenen.
richer in
"études cliniques sur la grande hystérie ou hystéro-épilepsie"